Temporale Vulnerabilität

Die australische Philosophin Janna Thompson (1942 – 2022) hat in einer Reihe von Schriften eine politische Ethik der intergenerationellen Gerechtigkeit entwickelt. Sie verbindet die historische Verantwortung Gegenwärtiger gegenüber dem Unrecht früherer Generationen mit der Verantwortung Gegenwärtig...

Full description

Saved in:
Bibliographic Details
Main Author: Christoph Rehmann-Sutter
Format: Article
Language:deu
Published: Universität Salzburg 2025-01-01
Series:Zeitschrift für Praktische Philosophie
Subjects:
Online Access:https://127.0.0.1/zfpp/article/view/497
Tags: Add Tag
No Tags, Be the first to tag this record!
_version_ 1832575332797906944
author Christoph Rehmann-Sutter
author_facet Christoph Rehmann-Sutter
author_sort Christoph Rehmann-Sutter
collection DOAJ
description Die australische Philosophin Janna Thompson (1942 – 2022) hat in einer Reihe von Schriften eine politische Ethik der intergenerationellen Gerechtigkeit entwickelt. Sie verbindet die historische Verantwortung Gegenwärtiger gegenüber dem Unrecht früherer Generationen mit der Verantwortung Gegenwärtiger für das Unrecht an den Noch-nicht-Geborenen. Darin findet sich eine Argumentation zur Begründung der intergenerationellen Sorge und Verantwortung, die von der Verletzbarkeit und Abhängigkeit in intergenerationellen Praktiken ausgeht. Sie kritisiert die Vorstellung von zukünftigen Generationen als mit uns unverbundene, noch nicht existierende Individuen und beschreibt die Gesellschaft stattdessen als ein diachrones Kontinuum von Angehörigen einander überlappender, miteinander verbundener Generationen, die füreinander Verantwortung tragen und voneinander abhängig sind. In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, Thompsons Argument für „temporale Vulnerabilität“, d.h. zur Begründung einer Verantwortung für das Wohl ungeborener Zukünftiger, im klimaethischen Kontext zu rekonstruieren. Im Zentrum stehen nicht nur die Handlungen oder Entscheidungen, die Normen unterstehen, oder die Rechte Zukünftiger, sondern soziale Praktiken, die, indem sie sich kollektiv fortsetzen, von der Zukunft her eine materiale Normativität in der Gegenwart enthalten. Die Pflichten Gegenwärtiger können erkannt werden, wenn geprüft wird, ob diese Praktiken Zukünftigen gegenüber rechtfertigbar sind. Es handelt sich um Pflichten der sorgenden Verantwortung, die sich aus den intergenerationellen Beziehungen ergeben. Dieses Argument wird mit zwei Fragen konfrontiert: 1) Hängt die Gültigkeit des Arguments wie Thompson andeutet, von vertragstheoretischen Vorannahmen ab? 2) Wie stark ist die normative Bindungskraft, die von ihrem Argument ausgeht und wie funktioniert diese Bindung? Thompson bietet einen diachronen Ansatz zur intergenerationellen Gerechtigkeit, der sowohl rückwärts in die Vergangenheit als auch vorwärts in die Zukunft blickt, zu einem differenzierten Verständnis der Verantwortung der gegenwärtigen Generation führt, die in Strukturen lebt, die von den Vorgängergenerationen bereits errichtet wurden. Ihre Verantwortung kann spezifiziert werden auf das, was in ihrer Macht steht zu tun, um eine schädliche Dynamik aufzuhalten.
format Article
id doaj-art-d13b5e5b01a14270a023c5e19c9e2c72
institution Kabale University
issn 2409-9961
language deu
publishDate 2025-01-01
publisher Universität Salzburg
record_format Article
series Zeitschrift für Praktische Philosophie
spelling doaj-art-d13b5e5b01a14270a023c5e19c9e2c722025-02-01T09:58:01ZdeuUniversität SalzburgZeitschrift für Praktische Philosophie2409-99612025-01-0111210.22613/zfpp/11.2.7Temporale Vulnerabilität Christoph Rehmann-Sutter0Universität zu Lübeck Die australische Philosophin Janna Thompson (1942 – 2022) hat in einer Reihe von Schriften eine politische Ethik der intergenerationellen Gerechtigkeit entwickelt. Sie verbindet die historische Verantwortung Gegenwärtiger gegenüber dem Unrecht früherer Generationen mit der Verantwortung Gegenwärtiger für das Unrecht an den Noch-nicht-Geborenen. Darin findet sich eine Argumentation zur Begründung der intergenerationellen Sorge und Verantwortung, die von der Verletzbarkeit und Abhängigkeit in intergenerationellen Praktiken ausgeht. Sie kritisiert die Vorstellung von zukünftigen Generationen als mit uns unverbundene, noch nicht existierende Individuen und beschreibt die Gesellschaft stattdessen als ein diachrones Kontinuum von Angehörigen einander überlappender, miteinander verbundener Generationen, die füreinander Verantwortung tragen und voneinander abhängig sind. In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, Thompsons Argument für „temporale Vulnerabilität“, d.h. zur Begründung einer Verantwortung für das Wohl ungeborener Zukünftiger, im klimaethischen Kontext zu rekonstruieren. Im Zentrum stehen nicht nur die Handlungen oder Entscheidungen, die Normen unterstehen, oder die Rechte Zukünftiger, sondern soziale Praktiken, die, indem sie sich kollektiv fortsetzen, von der Zukunft her eine materiale Normativität in der Gegenwart enthalten. Die Pflichten Gegenwärtiger können erkannt werden, wenn geprüft wird, ob diese Praktiken Zukünftigen gegenüber rechtfertigbar sind. Es handelt sich um Pflichten der sorgenden Verantwortung, die sich aus den intergenerationellen Beziehungen ergeben. Dieses Argument wird mit zwei Fragen konfrontiert: 1) Hängt die Gültigkeit des Arguments wie Thompson andeutet, von vertragstheoretischen Vorannahmen ab? 2) Wie stark ist die normative Bindungskraft, die von ihrem Argument ausgeht und wie funktioniert diese Bindung? Thompson bietet einen diachronen Ansatz zur intergenerationellen Gerechtigkeit, der sowohl rückwärts in die Vergangenheit als auch vorwärts in die Zukunft blickt, zu einem differenzierten Verständnis der Verantwortung der gegenwärtigen Generation führt, die in Strukturen lebt, die von den Vorgängergenerationen bereits errichtet wurden. Ihre Verantwortung kann spezifiziert werden auf das, was in ihrer Macht steht zu tun, um eine schädliche Dynamik aufzuhalten. https://127.0.0.1/zfpp/article/view/497Janna Thompsonintergenerationelle GerechtigkeitKlimaethikVulnerabilitätzukünftige Generationen
spellingShingle Christoph Rehmann-Sutter
Temporale Vulnerabilität
Zeitschrift für Praktische Philosophie
Janna Thompson
intergenerationelle Gerechtigkeit
Klimaethik
Vulnerabilität
zukünftige Generationen
title Temporale Vulnerabilität
title_full Temporale Vulnerabilität
title_fullStr Temporale Vulnerabilität
title_full_unstemmed Temporale Vulnerabilität
title_short Temporale Vulnerabilität
title_sort temporale vulnerabilitat
topic Janna Thompson
intergenerationelle Gerechtigkeit
Klimaethik
Vulnerabilität
zukünftige Generationen
url https://127.0.0.1/zfpp/article/view/497
work_keys_str_mv AT christophrehmannsutter temporalevulnerabilitat