Über den »unisonierenden Dualismus« im ersten Satz von Schuberts Streichquartett G-Dur, D. 887

Bis in unsere Zeit hinein ist der Widerspruch, der zwischen musiktheoretischer Erklärung und musikwissenschaftlichem Verstehen sich auftut, nicht aufgehoben worden. Schon Carl Dahlhaus hatte vor etwa 50 Jahren versucht, ihm mit seiner Unterscheidung einer Analyse, die in »theoretischer Absicht« verf...

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Main Author: Sebastian Urmoneit
Format: Article
Language:deu
Published: Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH) 2022-12-01
Series:Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie
Subjects:
Online Access:https://storage.gmth.de/zgmth/pdf/1175
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description Bis in unsere Zeit hinein ist der Widerspruch, der zwischen musiktheoretischer Erklärung und musikwissenschaftlichem Verstehen sich auftut, nicht aufgehoben worden. Schon Carl Dahlhaus hatte vor etwa 50 Jahren versucht, ihm mit seiner Unterscheidung einer Analyse, die in »theoretischer Absicht« verfährt, und einer solchen, die nach der »ästhetischen Absicht« fragt, zu begegnen. Doch seine Untersuchung von Schuberts letztem Quartett, so viele Details sie auch enthält, bleibt in der Theorie befangen und kommt so, was die »ästhetische Absicht« betrifft, mit Hegel gesprochen »nicht vom Fleck«. Das G-Dur-Quartett beginnt mit einem »Dur-Moll-Siegel«, das eine tönende Abhandlung über den Tongeschlechterwechsel in Aussicht stellt. Doch schon das Hauptthema deutet an, dass Schubert etwas anderes mit dieser Komposition im Sinn hatte. In der Durchführung wird deutlich, dass er mittels einer ›Kompositionswissenschaft‹, die den Werken der Gattung Streichquartett seit Haydn wesenhaft ist, an dem Verfahren einer symmetrischen Teilung der Oktave die Gefahr aufdeckt, sich gerade dort, wo er vermeintlich besonders systematisch vorgeht, in ›schlechte Unendlichkeit‹ zu verlieren. The contradiction between music-theoretical explanation and musicological understanding has not been resolved up to our time. Some fifty years ago Carl Dahlhaus had already attempted to address this with his distinction between analysis that proceeds with “theoretical intention” and analysis that enquires into “aesthetic intention.” But his study of Schubert’s last quartet, despite the many details it contains, remains caught up in theory and thus, as far as the “aesthetic intention” is concerned, “does not get off the ground,” to use Hegel’s words. The G major quartet begins with a “major-minor-seal” that holds out the prospect of a sonorous treatise on modal mixture. But the main theme already suggests that Schubert had something else in mind with this composition. In the development it becomes clear that Schubert, by means of ‘compositional science’ that has been essential to the works of the string quartet genre since Haydn, uses the procedure of a symmetrical division of the octave to expose the danger of losing himself in ‘bad infiniteness’ precisely where he supposedly proceeds in a particularly systematic manner.
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institution Kabale University
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